Der Eisvogel im Floßgraben

Fotos: Werner Schille
Fotos: Werner Schille

Der Floßgraben durchzieht zum größten Teil im historischen Bett der Batschke den südlichen Leipziger Auwald. Im Gegensatz zu den Strömen der Weißen Elster und der Pleiße weist er in der Regel das klarste Wasser der Leipziger Flüsse auf, welches nicht von aufgeschwemmten Sedimenten getrübt ist. Denn er bezieht sein Wasser überwiegend über den Waldsee Lauer aus dem Cospudener See und dieses Überschusswasser ist klares Quellwasser aus den durch den Bergbau angeschnittenen Grundwasserleitern. Lediglich die vom Klärwerk Markleeberg im Abwasser eingeleiteten Nährstoffe führen nach der Entfernung der Unterwasservegetation als natürlicher biologischer Selbstreinigungskraft im Batschke-Floßgraben zu einer bakteriellen milchigen Eintrübung.

Mit seinen vor allem im südlichen Teil häufigen Steilufern, den als Ansitzwarten dienenden über das Wasser ragenden Zweigen, dem klaren fischreichem Wasser und der weitestgehend abgeschiedenen Lage hatte sich der Batschke-Floßgraben bis zum letzten Jahr zu dem Lebensraum des Eisvogels in Leipzig entwickelt, der die mit Abstand besten Habitatbedingungen im gesamten EU-Vogelschutzgebiet Leipziger Auwald aufwies.

Doch wie sagte schon Lessing: „Es kann der Beste nicht in Frieden leben, ...“ wenn die Stadt Leipzig den Wassertourismus plant. Für den Floßgraben sollen hierbei durch die Stadt Leipzig Konzessionen vergeben werden, die bis zu 300 Bootsbewegungen am Tag ermöglichen. Eine derartig hochfrequente Störung führt zur Vertreibung des Eisvogels im Floßgraben. Deshalb wurde im Auftrag der Stadt Leipzig durch das Büro bgmr eine FFH- und SPAErheblichkeitsuntersuchung durchgeführt, die zu dem Schluss kam, dass durch die wassertouristische Nutzung die Eisvogelbestände im Floßgraben stark bedroht werden, ihr Verlust aber unerheblich für den Gesamtbestand sei. Man nimmt die Vertreibung aus dem Eisvogelparadies billigend in Kauf, obwohl dies klar dem Wortlaut und dem Sinn der Vogelschutzrichtlinie der EU widerspricht.

Der Eisvogel steht im Anhang I der Vogelschutzrichtlinie der EU. Entsprechend dieser Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 (EG-VOgSchRL 2003) sind auf die in Anhang I aufgeführten Arten besondere Schutzmaßnahmen hinsichtlich ihrer Lebensräume anzuwenden, um ihr Überleben und ihre Vermehrung in ihrem Verbreitungsgebiet sicherzustellen.

Nach Artikel 3(1) [Erhaltung und Wiederherstellung der Lebensräume] der Vogelschutzrichtlinie sollen die Mitgliedstaaten unter Berücksichtigung der in Artikel 2 genannten Erfordernisse die erforderlichen Maßnahmen treffen, um für alle unter Artikel 1 fallenden Vogelarten eine ausreichende Vielfalt und eine ausreichende Flächengröße der Lebensräume zu erhalten und wiederherzustellen.

Der Artikel 2 [Sicherung der Bestände] der Vogelschutzrichtlinie besagt: „Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um die Bestände aller unter Artikel 1 fallenden Vogelarten auf einem Stand zu halten oder auf einen Stand zu bringen, der insbesondere den ökologischen, wissenschaftlichen und kulturellen Erfordernissen entspricht, wobei den wirtschaftlichen und freizeitbedingten Erfordernissen Rechnung getragen wird.“

 

Die Untersuchung von bgmr im Auftrag der Stadt Leipzig und des Grünen Ringes entspricht zwar den sächsischen Richtlinien zur Umsetzung der Vogelschutzrichtlinie, erfüllt aber ganz klar nicht die in Artikel 2 und 3 der Vogelschutzrichtlinie formulierten Erfordernisse. Für den NABU-RV Leipzig besteht der begründete Verdacht, dass die Verwaltungsvorschriften des Freistaates Sachsen zur Umsetzung der Vogelschutzrichtlinie deren Erfordernissen widersprechen und somit deren Rechtmäßigkeit sehr angezweifelt werden muss.

Es wurde keine Analyse der Metapopulationstruktur durchgeführt. Es werden keine Aussagen zur genetischen Mindestpopulationsgröße und daraus resultierenden Flaschenhalseffekten getroffen. Es werden keine Aussagen zur Vagilität der Art, zu isolation-by-distance-Effekten und zur Widerbesiedlungswahrscheinlichkeit nach Extinktion getroffen. Es werden keine Aussagen zur Populationsbiologie der Art im SPA-Gebiet insbesondere zum Reproduktionserfolg und zu Mortalitätsraten und -ursachen getroffen. Somit wird überhaupt keine Aussage zu den nach Artikel 2 der Vogelschutzrichtlinie geforderten wissenschaftlichen und ökologischen Erfordernissen getroffen und damit ganz eindeutig eine Verletzung der Vogelschutzrichtlinie begangen.

Bei der sehr geringen Anzahl an nachgewiesenen Brutpaaren im gesamten SPA-Gebiet ist die ausreichende genetische Vielfalt der Art im Gebiet durch den Verlust der Teilpopulation am Batschke-Floßgraben erheblich gefährdet. Außerdem liegen für die wenigen Vorkommen an der südlichen Weißen Elster, welche erheblich zur Bestandssicherung der Art im Vogelschutzgebiet beitragen sollen, mehrjährige Beobachtungen von Vogelkundlern vor, dass die Teilpopulation hier einer enorm hohen Mortalität durch nicht heimische, ausgesetzte Pelztiere, wie z. B. dem Mink unterliegt. Berücksichtigt man dann noch die herausragenden Habitatstrukturen im Batschke-Floßgraben, wie sie in dieser enormen Bündelung und funktionalem Zusammenhang an keinem anderen Fließgewässer der Stadt Leipzig zu finden sind, dann wird jedem verständlich, dass das Verdrängen des Eisvogels aus dem Batschke-Floßgraben die Vogelschutzrichtlinie der EU,insbesondere den Artikel 3 verletzt.

Leider mussten wir in diesem Jahr eine deutliche Abnahme an Beobachtungen des Eisvogels am Batschke-Floßgraben feststellen, was die Folge der begonnenen Herrichtung dieses Gewässers als Wasserstraße, insbesondere dem Rückschnitt von über das Wasser ragenden Zweigen und Ästen ist. Wir fordern den Grünen Ring und die Stadt Leipzig unmissverständlich auf, die einseitige, nur nach wirtschaftlichen Erfordernissen des Wassertourismus ausgelegte Interpretation der Vogelschutzrichtlinie zu beenden und ihr im gesamten Wortlaut aller Erfordernisse gerecht zu werden.

 

Karl Heyde, 11.05.2008