Plan zur Rettung des Leipziger Auenökosystems

Fachleute aus Forschung, Behörden und Verbänden erarbeiten gemeinsame Vision und bewerten mögliche Maßnahmen

Maßgeblich auf Initiative von Prof. Dr. Christian Wirth vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) hat der NABU Sachsen zusammen mit anderen Verbänden sowie Vertretern aus zuständigen Kommunal- und Fachbehörden eine „Vision“ als naturschutzfachliches Leitbild für die Auenentwicklung in und um Leipzig entwickelt. Das Papier betont vor allem die überragende, alle anderen Ziele befördernde Rolle des Wasserdargebots und der Wasserdynamik. Damit ist gemeint, dass nicht nur mehr Wasser in den Auwald gebracht werden muss, sondern auch mehr Dynamik, also die Verlagerung von Böden (Sedimenten), Veränderung von Gewässern und so weiter. Diese Dynamik muss – sollen die Ziele von Fauna-Flora-Habitat- und der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie erreicht werden – schnellstmöglich wiederhergestellt werden, wenn das Leipziger Auensystem nicht weiter seinen ökologischen Wert verlieren soll.

 

Naturschutzfachliche Auenvision 2050

Neben Einzelbetrachtungen zu den verschiedenen Auen-Lebensräumen, also Auwald, Offenland, Gewässer und deren Abhängigkeit von hydrologischer Dynamik, werden vor allem übergreifende Fragen und Themen aufgegriffen. Zum Beispiel: Welche Akteure müssen gemeinsam die Auenentwicklung vorantreiben, damit sie erfolgreich wird? Ebenso wird die Forderung aufgestellt, dass es im Genehmigungsverfahren einer Gesamtbetrachtung des Gebietes bedarf, da Dynamik in der Aue auch immer Dynamik der Lebensräume bedeutet. Das heißt eben auch, dass an einer Stelle gelegentlich ein wertvoller Teillebensraum verschwinden und an anderer Stelle neu entstehen muss, während an der ursprünglichen Stelle ein anderer hochwertiger Lebensraum aufkommt. Ergänzt wird das Papier durch eine über 70 Maßnahmenvorschläge verschiedenster Akteure umfassende Maßnahmentabelle. Konkret werden die möglichen Maßnahmen von den Verfasserinnen und Verfassern der Auenvision daraufhin bewertet, ob sie der Auenentwicklung tatsächlich dienen und welchen Realisierungshorizont sie voraussichtlich haben werden.

 

Diskussionspapier „Dynamik als Leitprinzip zur Revitalisierung des Leipziger Auensystems“

 

Beim Bau der Neuen Luppe in den 1930er-Jahren zum Hochwasserschutz wurden zahlreiche Nebenarme der Weißen Elster und der Luppe unterbrochen. So wurde die Wasserzufuhr des Auwaldes weitgehend gekappt. Foto: André Künzelmann/UFZ
Beim Bau der Neuen Luppe in den 1930er-Jahren zum Hochwasserschutz wurden zahlreiche Nebenarme der Weißen Elster und der Luppe unterbrochen. So wurde die Wasserzufuhr des Auwaldes weitgehend gekappt. Foto: André Künzelmann/UFZ

 

Dynamik als Leitprinzip

Seit Jahrzehnten ist bekannt, dass das Auensystem entlang der Weißen Elster, Pleiße und Luppe von seinem wichtigsten Element abgeschnitten ist: dem Wasser. Der Wald trocknet buchstäblich aus, verliert seine charakteristischen Baumarten und deren Bewohner. Der Grund sind historische Umbauten zum Hochwasserschutz und die Klimaerwärmung. Eine Revitalisierung der Flusslandschaft ist deshalb unumgänglich, sagen Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) und der Universität Leipzig. In enger Zusammenarbeit mit Naturschutzverbänden und Ämtern haben sie jetzt eine Vision für das Leipziger Auensystem entwickelt und eine Karte mit Bewertungen von über 70 konkreten Maßnahmen erstellt. Sachsens Umweltminister Günther würdigte das Papier als fundierte Grundlage und kündigte weitere Schritte an.

 

Intakte Flussauen und ihre Wälder sind einzigartige Lebensräume für eine Vielzahl oft seltener Tier- und Pflanzenarten. Allein das macht sie schützenswert. Darüber hinaus liefern sie den Menschen in der Umgebung wichtige Ökosystemleistungen, indem sie etwa das Stadtklima regulieren, Luft und Wasser reinigen und als Naherholungsgebiet dienen. Dies alles leistet auch der Leipziger Auwald – allerdings nur unter der Voraussetzung, dass ausreichend Wasser vorhanden ist, und daran mangelt es!

Dem Leipziger Auwald fehlen bereits seit mehr als 80 Jahren die für diesen Lebensraum typischen Überschwemmungen. Zudem sinkt der Grundwasserspiegel. Das Hauptproblem dabei ist die neue Luppe – der künstlich angelegte Kanal sorgt für eine Entwässerung der Auenlandschaft.

 

Waldvegetation zeigt Trockenschäden

Die Trockenheit der letzten drei Jahre begünstigt Pilzkrankheiten. Im Leipziger Auwald sterben dadurch derzeit besonders die Esche und der Bergahorn ab. Selbst die Stieleiche ist bereits betroffen. Foto: André Künzelmann/UFZ
Die Trockenheit der letzten drei Jahre begünstigt Pilzkrankheiten. Im Leipziger Auwald sterben dadurch derzeit besonders die Esche und der Bergahorn ab. Selbst die Stieleiche ist bereits betroffen. Foto: André Künzelmann/UFZ

Zusätzlich zum Wassermangel in der Aue macht sich die seit 2018 anhaltende Trockenheit negativ bemerkbar. Nach Ansicht der Experten scheint ein Kipppunkt überschritten zu sein. Nachdem die „Holländische Ulmenkrankheit“ diese ursprüngliche Hauptbaumart schon vor Jahren fast ausgerottet hat, droht nun den Eschen ein ähnliches Schicksal, was weitreichende Konsequenzen für die biologische Vielfalt und Funktionsfähigkeit des Auwaldes haben dürfte. Erste Trockenheitsschäden zeigen sich auch bei der Stieleiche.

Prof. Dr. Christian Wirth (iDiv und Uni Leipzig), der die Entwicklung des Leipziger Auwalds seit vielen Jahren wissenschaftlich begleitet, hat die Initiative ergriffen und erstmals Fachleute und Vertreter aus Umweltverbänden, Behörden und der Wissenschaft zusammengebracht, um ein gemeinsames Positionspapier mit einer Vision für den Naturschutz zu erarbeiten. Das Ergebnis ist ein 63-seitiges Diskussionspapier mit dem Titel „Dynamik als Leitprinzip zur Revitalisierung des Leipziger Auensystems“.

In zehn Thesen stellen die Autoren Leitlinien vor, auf deren Grundlage detaillierte Konzepte für die Wiederbelebung der Auen erarbeitet werden können. Darin betonen die Autoren drei Faktoren: Neben dem Wasservorkommen, spielen auch dessen natürliche Zustandsänderungen wie etwa Überflutungen und Grundwasserschwankungen eine Rolle, die eine Vielzahl natürlicher Prozesse befördern. Unumgänglich ist auch die Wiedervernetzung der Lebensräume, da die Hauptfließgewässer von ihren Auen getrennt wurden.

 

Umweltminister Günther für systematische Rettung des Auwalds

Vertreter des Autorenteams hatten das Papier am 9. November 2020 dem Staatsminister für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft , Wolfram Günther, präsentiert. Dieser würdigte den gesamträumlichen Ansatz als wertvolle Fachgrundlage für einen innerbehördlichen Meinungsbildungsprozess und als gute Basis, die Rettung des Auwalds strategisch anzugehen.


Das Papier geht jedoch weit über einen theoretischen Ansatz hinaus. So bewerten die Autoren über 70 konkrete Maßnahmen, die derzeit aus unterschiedlichen Gründen im Raum stehen, und benennen die aus ihrer Sicht besonders zielführenden. Diese sind auf einer Karte für Entscheidungsträger und interessierte Bürger übersichtlich dargestellt. Umweltminister Günther kündigte an, die aufgezeigten Lösungsansätze in Strategiegesprächen mit weiteren Interessenvertretern und Betroffenen zu diskutieren.

Die Autoren sind sich einig, dass mit der Umsetzung möglichst rasch begonnen werden muss. Während in vielen anderen Flussregionen Deutschlands bereits wirksame Lösungen umgesetzt sind, hat die Revitalisierung des Leipziger Auensystems – abgesehen von wenigen räumlich eng begrenzten Projekten – noch nicht einmal begonnen!

 

Umweltminister Wolfram Günther:

»Der Auwald ist eine einzigartige Landschaft inmitten einer wachsenden Großstadt. Klimawandel und umfangreiche wasserbauliche Maßnahmen der zurückliegenden Jahrzehnte bedrohen dieses wertvolle Ökosystem. Wir müssen handeln. Darüber besteht Einigkeit. Mit dem Papier haben wir zum ersten Mal einen umfassenden ökologischen und bereichsübergreifenden Ansatz für die Revitalisierung des Leipziger Auensystems in der Hand. Damit haben wir jetzt die Chance, die vielen verschiedenen Interessenträger rund um den Auwald hinter einer gemeinsamen Strategie zu versammeln, sprich, Verbände, die beteiligten Kommunen, Landkreise, Landestalsperrenverwaltung, forstliche Nutzer, Landwirtschaft und die vielen anderen Nutzerinnen und Anrainer in und um den Auwald. Ich freue mich darauf, auf Grundlage des Strategiepapiers die Gesundung des Auwalds zu gestalten – gemeinsam mit den regionalen Akteurinnen und Akteuren und mit der fachlichen Begleitung der Autorengruppe.«

 

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Es ist Zeit für „den großen Wurf“

Die Rettung des Leipziger Auenökosystems ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Die immer deutlicheren Klimaveränderungen verschärfen nicht nur die Situation für die biologische Vielfalt, sondern auch für die Leistungsfähigkeit des Auenökosystems insgesamt, das hat auch Folgen für die Lebensqualität der Menschen in der Umgebung. Es ist notwendig, jetzt die richtigen politischen Impulse zu setzen, denn die Revitalisierung von Flussauen ist eine der wirksamsten Maßnahmen gegen die Krise der biologischen Vielfalt und gegen den Klimawandel. Dafür müssten nun alle Akteure endlich ein einem Strang ziehen!

 


WEITERE INFORMATIONEN


Foto: Christa Rasch
Foto: Christa Rasch

Leipziger Auwald

 

Der Auwald ist Leipzigs bedeutendstes Naturerbe, aber auch beliebtes Ausflugsziel und Wirtschaftswald. Andere Interessen werden oftmals höher bewertet als der Schutz der wertvollen Natur- und Kultur­landschaft. Der NABU engagiert sich für eine nachhaltige, natur­verträgliche Entwicklung der Auenlandschaft, der Schutz des artenreichen Auenökosystems ist ein wichtiges Anliegen des NABU Leipzig. mehr