Vogeltod hinter dem Baugerüst

Behörden zeigen sich machtlos

NABU Leipzig kämpft zwei Tage für die Rettung der Vogelbruten

Ein Baugerüst wird errichtet, mitten in der Vogelbrutzeit, ohne Rücksicht auf die Tiere, die dahinter gefangen sind, ohne Rücksicht auf die Vogeleltern, die nicht mehr zu ihren Nistplätzen gelangen. Solches Tierleid ist alltäglich in Leipzig. In einigen Fällen können beherzte Bürger oder der NABU eingreifen, doch viele Fälle bleiben unbemerkt. Leider zeigen sich auch die Behörden oftmals machtlos. Weitere Informationen

 

Nun ist es wieder passiert, wie so oft an einem Freitagabend, wenn kein Amt mehr im Dienst ist. In einer Hau-Ruck-Aktion wurde in der Bornaischen Straße ein Baugerüst aufgestellt. Fünf Mauersegler fliegen gegen die Netze und Gerüststangen, stundenlang, verzweifelt, immer und immer wieder. Sie kommen nicht zu ihren Jungen. Gebäudeverwalter und Gerüstbauer wurden vorher über die Gebäudebrüter informiert, trotzdem werden die Brutplätze mit einem vollständig vernetzten Gerüst verschlossen. Eigentlich wäre die Stadtverwaltung Leipzig zuständig, Naturschutz- und Tierschutzgesetz durchzusetzen und

Vergeblich versuchen die Mauersegler zu ihren Nistplätzen zu gelangen. Video: NABU Leipzig


den Rückbau des Gerüstes zu organisieren, doch stattdessen müssen einmal mehr ehrenamtlich tätige Tierfreunde des NABU Leipzig aktiv werden, und es beginnt ein tagelanges und seelisch belastendes Ringen um das Überleben der Vögel.

 

Untersuchung der Nischen mit Endoskopkamera. Fotos: NABU Leipzig

 

Der NABU Leipzig ruft den Stadtordnungsdienst, der den Fall aufnimmt, aber nichts anweisen kann. Die Feuerwehr wird hinzugerufen, die das Gerüst nicht rückbauen kann, weil eine amtliche Anordnung nötig ist. Immerhin erreicht der Stadtordnungsdienst eine diensthabende Tierärztin des Veterinäramtes, die auch bereit ist, den Fall vor Ort anzuschauen. Die Amtstierärztin kündigt die Anordnung an, die Feuerwehr lehnt den Rückbau aber ab, da die Sicherheit des Gerüstes nicht gewährleistet werden könne. Im Beisein der Tierärztin wird daraufhin die Polizei hinzugezogen. Die Polizei ist im Naturschutzrecht nicht im Detail bewandert und muss sich intern rückversichern welche Möglichkeiten bestehen. Der NABU Leipzig hat die Nistplätze mit Endoskopkamera begutachtet und wird von der Polizei um Stellungnahme gebeten. Der Sachverständige für Gebäudebrüter vom NABU Leipzig hat verschlossene Nistplätze mit drei Mauersegler-Jungvögeln an zwei Brutnischen festgestellt und bewertet die Lage als Gefahr im Verzug. Die Jungvögel werden nicht versorgt, die Altvögel versuchen zu füttern und verletzen sich bei Anflugversuchen. Außerdem wurde mindestens ein Hausperlingsnest, welches vom Sperling gerade angeflogen wurde, ein Taubenpaar, welches gerade ein Ei gelegt hat und ein Amselpaar welches gerade seine Jungen füttert am Gebäude festgestellt.

 

Auch Haussperling, Amsel und Taube nisten an dem Gebäude. Niststätten europäischer Vogelarten sind gesetzlich geschützt und die Brut darf nicht gestört werden. Fotos: NABU Leipzig

 

Inzwischen ist es dunkel. Der Kampf geht am nächsten Morgen (Samstag) weiter. Das Veterinäramt erklärt sich für nicht zuständig und verweist auf die Naturschutzbehörde, ersatzweise könne die Polizei eingreifen.

 

Ordnungsamt und Polizei werden gerufen. Die Feuerwehr lehnt ein Eingreifen ab. Bis zum Einbruch der Dunkelheit fand sich keine Lösung für die leidenden Tiere. Fotos: NABU Leipzig

 

Da sich der Gerüstbauer auf Anfrage der Polizei weigert, das Gerüst zurückzubauen, bittet die Polizei das Technische Hilfswerk um Hilfe. Das THW Leipzig kommt kurz nach 14 Uhr und beginnt mit dem Rückbau, was bis nach 18 Uhr dauert. Der NABU Leipzig bedankt sich herzlich beim THW, dessen Einsatzkräfte ebenfalls ehrenamtlich tätig sind.

 

Befreiungsaktion des THW für die leidenden Vögel. Fotos: NABU Leipzig

 

Nun konnten die Vogeleltern zu ihren Nistplätzen zurückkehren. Anfangs noch zögerlich kreisten die Mauersegler über der Baustelle, 21.27 Uhr konnten NABU-Mitglieder wieder in die Brutnischen einfliegende Mauersegler beobachten.

 

Sabrina Rötsch vom NABU Leipzig schildert den Rettungseinsatz für die Vögel. Video: StreetNewsLE

Doch es bleiben Fragen offen, denn die Misere ist ja nur ein Beispiel für zahlreiche ähnliche Baustellen. Wie geht es weiter mit dem Tier- und Artenschutz in Leipzig weiter? Der NABU Leipzig deckt jedes Jahr mehr Fälle auf, als in der ehrenamtlichen Arbeit bearbeitet werden können. Immer wieder sind Verstößen gegen das Tierschutz- und Naturschutzgesetz feststellbar, nur die dafür zuständigen Behörden bleiben untätig. Der NABU ist nicht zuständig und personell auch nicht in der Lage, alle Baustellen zu kontrollieren. Gebäudebrüter haben Rechte, aber keine eigene Stimme – wir Menschen müssen uns für sie einsetzen! Der NABU Leipzig hat zur Situation gebäudebewohnender Arten und zu Defiziten bei der Durchsetzung des Artenschutzes Positionspapiere verfasst, die der Stadtverwaltung bekannt sind. Der personell knapp aufgestellten Naturschutzbehörde ist die Durchsetzung der Gesetze aber offenbar nicht möglich. Dieser Zustand ist angesichst von Artensterben und Klimakrise nicht haltbar.

 

Wer den Arbeitskreis Ornithologie und Vogelschutz des NABU Leipzig ehrenamtlich unterstützten möchte, kann sich gern per E-Mail melden.

 

MEDIENECHO

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Foto: René Sievert
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